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Zum plötzlichen Tod von MdL. Wilhelm Dröscher
R. S. Wie ein Lauffeuer ging es gestern
morgen durch Bad Kreuznach und Kirn, durch Bonn und Mainz: MdL
Wilhelm Dröscher war - erst 57 Jahre alt - auf dem Hamburger
Parteitag der SPD einem Herzinfarkt erlegen. Dröscher war kein
Politiker, über dessen plötzlichen Tod man erschrickt und dann
zur Tagesordnung übergeht Denn "Lem" - wie ihn seine
Freunde nannten - hat wie kaum ein anderer der Landschaft und
ihren Menschen rechts und links der Nahe seinen Stempel aufgedrückt.
Dröscher war ein Vollblutpolitiker und ein liebenswerter Mensch,
dem selbst seine schärfsten politischen Gegner immer wieder
bescheinigen mussten, dass er um der guten Sache willen zu kämpfen
und sich einzusetzen verstand wie sonst selten jemand.
Schon damals, als der Kaufmann und Sägewerker
1949 zum Amtsbürgermeister von Kirn-Land berufen wurde und dieses
schwierige Amt bis 1967 ausübte, begann sich nach und nach
abzuzeichnen, dass Dröscher zu "Höherem" strebte.
Sicherlich nicht des schnöden Mammons wegen oder wegen einer bei
vielen anderen gleicher oder anderer Coleur zu beobachtender
Profil-Neurose, sondern weil Dröscher, der "gute Mensch von
Kirn" geahnt haben mochte, dass Wesen und Wirkung eines Amtsbürgermeisters
für einen so energisch-tatkräftigen Zeitgenossen wie ihn nicht
ausreichten, sein ganzes Dasein in den Dienst der Menschen und der
von ihm vertretenen Politik zu stellen.
Unbeirrt von politischen Anfechtungen und
menschlichen Enttäuschungen ging Dröscher seinen Weg, der ihn
1954 in die Bundesversammlung, von 1955 bis 1957 dann in den
Landtag von Rheinland-Pfalz, 1957 in den Bundestag und 1965 in das
Europäische Parlament führte. Die SPD, der er 1949 beigetreten
war, berief ihn sicherlich nicht zuletzt seiner menschlichen Wärme
und seiner Ausstrahlungskraft wegen, der sich niemand so leicht zu
entziehen vermochte, in den Vorsitz des SPD-Bezirks
Rheinland-Hessen-Nassau. Als Oppositionsführer im rheinland-pfälzischen
Landtag kämpfte der Politiker aus Kirn genau so um die
Durchsetzung der von ihm vertretenen Maximen wie zuletzt als
Bundesschatzmeister der SPD.
"Wir alle müssen uns bemühen, die
Politik menschlicher zu machen!“ hat „Lem" Dröscher vor
Jahren einmal gesagt. Viele haben es gehört, manche ihm
nachgeplappert und nur wenige danach gehandelt. Doch Dröscher war
nicht einer von jenen, die große Reden halten der Karriere
willen. Dröscher hat Zeit seines Lebens aus einer tiefempfundenen
sozialpolitischen Verantwortung gerade den Schwächeren, den Ärmeren,
den Dümmeren oder den Uneinsichtigen gegenüber so gehandelt wie
er es für richtig hielt - und wie es dann meist auch richtig war.
Wenn Dröscher seine fast schon legendären
Sprechstunden in Kirn abhielt - den „Draht“ zu seiner Heimat
hat er trotz Bonner Meriten nie verloren! -, dann hat er nicht
gefragt, ob der Mann oder die Frau gegenüber auch das richtige
Parteibuch in der Tasche hatten. Er kämpfte für ihre Belange,
als seien es seine eigenen, ob es nun um die Beschaffung einer
neuen Wohnung ging, um einen Arbeitsplatz oder einen
Rentenanspruch.
Wenn der Verstorbene sich in all den Jahren
seines Wirkens für bessere Verkehrsverbindungen an der Nahe
einsetzte, wenn er mit gutem Rat und schneller Tat den Fluglärmgeschädigten
der Flugplatzrandgemeinden half, wenn er sich in strukturschwachen
Gebieten seines Wahlkreises für die Schaffung neuer Arbeitsplätze
oder Industrieansiedlungen einsetzte, bei allem, was er tat, hatte
Dröscher nur eines vor Augen: Die Lebens- und Arbeitsbedingungen
der Menschen zu ändern, zu bessern.
Um den Familienvater Dröscher - er hat sechs
'Kinder - trauert nicht nur seine Familie. Um ihn trauern
Hunderte, denen er geholfen, Tausende, denen er Mut gemacht hat.
Wilhelm Dröscher war viel zu bescheiden, um sich als etwas
Besonderes zu empfinden. Aber sein Leben war ein einziges
Beispiel: Für seine Politiker-Kollegen aller Parteien und
Gruppierungen, wie man Politik machen kann, hinter der sich
niemals das menschliche Antlitz zu verstecken brauchte. Und für
alle anderen, denen dieser Mann Tag für Tag bewiesen hat, dass es
sich lohnt, für eine gute Sache zu kämpfen.
Wilhelm Dröscher hat sich um uns alle verdient gemacht. Ganz einfach
deshalb, weil er um das schlichte Wort "dienen" wusste.
Die SPD wird den Verlust eines ihrer Profiliertesten verschmerzen
müssen und können. Die Menschen an der Nahe allerdings müssen
Abschied nehmen von einem, der sich immer und überall mit ihnen
zu identifizieren wusste. Das wird schwerfallen. Unendlich schwer.
Quelle: Öffentlicher Anzeiger 19.11.1977
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