Einführung
Person
Kirn
Bonn
Straßburg und Brüssel
Mainz
Wilhelm-Dröscher-Stiftung
Wilhelm Dröscher heute
Texte und Dokumente 
Fotogalerie
Links
Impressum
Zehn Punkte zur Vertrauensarbeit der SPD

Zu Betätigungsfeldern sozialdemokratischer Politik und zur Vertrauensarbeit der Partei hat der Schatzmeister der SPD, Wilhelm Dröscher, die folgenden Thesen formuliert:

1. Die SPD ist die einzige politische Kraft in der Bundesrepublik, die zusammen mit den Liberalen das Bewusstsein einer Mehrheit der Bürger für die notwendige Weiterentwicklung einer in Frieden lebenden, sozial gesicherten und freiheitlichen Gesellschaft gewinnen kann.

2. Die innerparteiliche Diskussion über den weiteren Weg der SPD und ihrer Vertrauensarbeit, wie sie vorbildlich und in demokratischer Lebendigkeit beim Godesberger Programm und um den Orientierungsrahmen 1985 geführt worden ist, muss auch weiter auf breiter Front möglich bleiben. Sie darf aber nicht durch ständige Überbetonung von Konflikten zu Missverständnissen in der Bevölkerung über die Geschlossenheit unserer Partei führen. Wer das bewusst in Kauf nimmt, muss sich von der Partei trennen.

Die Diskussion darf nicht die Kräfte der jüngeren Sozialdemokraten und der Führungsgremien so beanspruchen, dass der praktische Dienst im Amt und am Bürger vernachlässigt wird. Wer den Anspruch erhebt, mitreden zu wollen, muss auch zum Mitdienen bereit sein.

3. Die Partei braucht für die kommenden Aufgaben eine gleichmäßigere flächendeckende Basis, bezogen auf den prozentualen Anteil der Mitglieder an der Gesamtbevölkerung. Dafür müssen in den Regionen gezielt und differenziert neue Mitgliederschichten geschlossen werden. Dabei geht es uns darum, die historisch erklärbaren, soziologisch und konfessionell aber nicht mehr notwendigen Barrieren zu überwinden, sie aufzulösen.

Ein guter Mitgliederbestand liegt bei vier Prozent der Bevölkerung. Und meine Erfahrung lehrt, dass bei einer solchen Parteistruktur auch immer stabile örtliche Mehrheiten für die SPD gegeben sind. Im Gegensatz dazu weisen Gebiete mit einem Mitgliederbestand unter 1 Prozent meistens auch ganz miserable Wahlergebnisse auf.

Da also wenig Mitglieder auch wenig Wähler bedeuten, müssen wir dies ändern. Dass dies möglich ist, zeigt unser Nachbarland Österreich. Wir müssen in einem Arbeitsprogramm die Schwerpunkte feststellen, die anzugehen sind. Dazu gehört eine Stadt-Land-Analyse, die insbesondere weite Gebiete in Baden-Württemberg und Bayern, aber auch noch in Rheinland-Pfalz und sogar in Nordrhein-Westfalen erfassen muss.

4. Schwerpunktmäßige Mitgliederwerbung, Verbesserung der Organisation muss die Neuregelung unseres Finanzsystems zur Voraussetzung haben. Für die offensive Parteiarbeit in den unterentwickelten Gebieten brauchen wir entsprechende finanzielle Mittel.

Wir werden hart rechnen müssen und damit beim Parteivorstand anfangen. Dazu wollen wir gemeinsam mit den Bezirken das System der Geschäftsstellen vom Bezirk über den Unterbezirk bis in die Wahlkreise materiell und personell überprüfen und verbessern. Ziel muss es sein, eine Flächenabdeckung bis ins kleinste Dorf durch unsere Geschäftsführer sowie Bundestags- und Landtagsabgeordnete zu erreichen. Die Diskussion unserer Organisationskommission über das Berufsbild und die Weiterbildung unserer Geschäftsführer sollte bald abgeschlossen werden.

Zunächst ist denkbar, dass wir in einzelnen Bezirken kleine mobile Kolonnen für die Organisationsarbeit einsetzen und diese dann von Bonn aus in Schwerpunkträumen personell unterstützen.
Schließlich braucht die "Basis" viel Unterstützung von der politischen Führung und von den Genossinnen und Genossen, die als Minister und Staatssekretäre in die höchste Verantwortung gerufen sind. Die Kameraderie zwischen den Bürokratien Bonner Ministerien und CDU-Landesministerien muss, wo sie besteht, beseitigt werden. Die örtlich kämpfenden Sozialdemokraten müssen spüren, dass sie auch in den schwärzesten Gebieten nicht allein gelassen werden.

5. Zur Erneuerung der Partei gehört die Ausschöpfung der Möglichkeiten der Freizeitgesellschaft. Das "Lob der schöpferischen Faulheit" kann hier zu wichtigen Erkenntnissen führen. Dazu gehört auch, das Vereinsleben neu zu entdecken.
Besonderer Anstrengungen bedarf es in dem Konflikt- und Arbeitsfeld Betrieb. Auch die Zusammenarbeit mit den Gewerkschaften ist weiter zu intensivieren.

6. In der Landespolitik geht es darum, die Leistungen des Bundes für die einzelnen Abgeordneten in ihren Gebieten und für die Landtagsfraktionen nutzbar zu machen, so dass die Gemeinsamkeit der Bemühungen auf Gemeinde-, Landes- und Bundesebene harmonisch spürbar werden. Von hier aus gibt es ebenso viele Möglichkeiten, die Bundespolitik zu unterstützen. Sozialdemokratisch regierte Länder müssen dabei die Solidarität zur Bundesregierung besonders spüren lassen. Hier ist ein wichtiges Gebiet, auf dem sich die Prinzipien der Solidarität, der Gerechtigkeit und des Kampfes gegen den Bürokratismus bewähren können.

7. In den letzten zehn Jahren hat man sich notwendigerweise stark auf die Bonner Politik fixiert. Jetzt muss wieder deutlicher werden, dass die Kommunalpolitik ein entscheidendes Gebiet sozialdemokratischer Bewährung ist. Dann werden wir den Vormarsch der Konservativen in den Gemeinden stoppen. Dabei gibt es verschiedene Ausgangssituationen. In der einen Gemeinde haben wir das Problem der Regeneration der über Jahrzehnte regierenden SPD als Honoratiorenpartei, in der anderen finden wir die Notwendigkeit des völligen Neuaufbaus. Kommunalpolitik ist aber das Feld, auf dem der Bürger am ehesten sieht, was welche Partei für ihn zu tun bereit ist. Hier wird der politische Alltag als Schlüsselerlebnis erfahren. Und wir haben meist dort einen Vorteil, wo Oberbürgermeister und Landräte direkt gewählt werden. Hier kommt es darauf an, die Identität von Kandidat gleich Repräsentant gleich SPD und eine Kooperation zwischen dem Kommunalpolitiker, dem Landtags- und dem Bundestagsabgeordneten in optimaler Weise herzustellen.

8. Der vorpolitische Raum muss neu durchdacht und neu angegangen werden. Die großen Verbände der Kriegsopfer, VdK und Reichsbund, der Heimkehrer, der Vertriebenen, der Bauern sind häufig wie selbstverständlich entweder in unsere oder gegnerische Bataillone eingeteilt gewesen, um die man sich entweder nicht zu kümmern brauchte oder um die sich zu kümmern keinen Zweck hatte. Das Gegenteil ist richtig. Ein Sozialdemokrat, der als gläubiger Christ Mitglied des Kirchenvorstandes oder aktiver Sozialarbeiter in seiner Kirchengemeinde ist, leistet das gleiche für die Partei wie ein Vorstandsmitglied im Ortsverein. Und die Turn- und Sportvereine und ihre überörtlichen Verbände spielen eine ganz ähnliche Rolle in der Kommunikation der Menschen heute. Sie sind alle für unsere konkrete Vertrauensarbeit wichtig.

9. Um die Medienlandschaft müssen wir uns mehr als bisher kümmern, die öffentlich-rechtliche Struktur von Rundfunk und Fernsehen verteidigen. Ziel dabei ist es, die objektive Information und den kritischen Kommentar im Sinne einer freien Meinungs- und Informationsbildung durchzusetzen. Dort, wo wir regionale und örtliche Pressemonopole haben, müssen wir Kontakt zu den lokalen Redaktionen halten und mit Leserbriefen aktiv an der Gestaltung der Zeitungen teilnehmen. Darüber hinaus geht es auf medienpolitischem Gebiet um die Weiterentwicklung von neuen Medien, die nicht in den Dienst der auf diesem Gebiet ohnehin schon Obermächtigen gestellt werden dürfen. Hier liegt eine große Aufgabe der Landespolitiker, die aktiv und sachkundig in den Rundfunk- und Verwaltungsräten mitarbeiten und den Druck der CDU/CSU auf die Funkhäuser und die Journalisten abwehren müssen.

Viele unserer Ortsvereine befinden sich regionalen Zeitungen gegenüber in einer hoffnungslosen Situation. Ein Ausweg dafür ist die Herausgabe von Stadtteilzeitungen oder regelmäßigen Infos bzw. Flugblättern, in denen das steht, was die Monopolpresse nicht bringt. Dadurch kann - wie das Beispiel der "Zeitung am Sonntag" während des Wahlkampfes an Rhein und Ruhr gezeigt hat - eine nahezu abgeschlossene Medienlandschaft zeitweise verändert und Meinungsvielfalt hergestellt werden.

10. Schließlich wird demjenigen die politische Mehrheit in Zukunft sicher sein, dem es gelingt, die Frauen für die Mitarbeit in der Partei zu gewinnen. Sie haben nicht nur zahlenmäßig die Mehrheit. Gerade die Probleme ihrer Stellung in der Gesellschaft, die Lösung ihrer Aufgaben aus ihrer Situation heraus, sind entscheidende Fragen der Innenpolitik. Deshalb müssen wir möglichst viele Frauen in die Mitverantwortung der Partei nehmen. Ein Schwerpunkt unserer Mitgliederwerbung muss auf diesem Gebiet liegen, nicht damit mehr Frauen nur nominell Mitglieder werden, sondern damit sie die Politik aktiv mitgestalten.

(SPD-Pressemitteilung vom 31. 10. 1976)
© Wilhelm-Dröscher-Stiftung - 2003  E-Mail direkt